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Peter – Liebl – Horizonte und Spiegelungen

Als ich begann die ersten Horizontbilder zu malen, wurde mir bewusst, dass ich mit den beiden Quadraten, die ich übereinander setzte, auf das reagierte, was ich täglich vor meinem Atelierfenster vor Augen habe, wenn ich über die weite Donauebene schaue, bis sich der Blick in der Ferne verliert. In den Horizonten schlagen sich Stimmungen nieder, wie Schwermut, die sich in Dämmerungen, aber genauso Heiterkeit, die sich in aufhellenden Himmeln und klaren Trennungslinien zeigt.
Im Prado diesen Sommer richtete ich meine Augen auf die Horizonte, die bei vielen Malern eine Rolle, bei manchen eine wichtige spielen. Schon in der Frührenaissance, in dem Augenblick, da Landschaft ins Bild rückt, kann ich an der Malerei von Himmel und Erde, von Oben und Unten, sehr viel über die künstlerische Wesensart erfahren, obwohl dieser Bildbereich in den Figurenkonstellationen eher ein Nebenbereich sind. Erst die Abstrakten brechen mit diesem Schema, wie es etwa bei Jakob von Ruisdael oder Caspar David Friedrich sichtbar ist. Allerdings kehren die Horizonte in gewisser Weise in nicht realistischer Auffassung wieder, etwa bei Rothko, Newman oder Calderara.
Auf dem Rückflug – ein klarer Augusthimmel – sah ich unter mir die Erde, in Flughöhe Wolkengebilde und darüber den tiefblauen Äther. Da dachte ich, ob ich nicht einmal ein Bild quasi mit einem erhöhten Horizont – die Wolken als Mitte – versuchen sollte. Spannend beim Malen der Horizontbilder ist für mich das nicht voraussehbare Endergebnis; vorausgesetzt, es gelingt mir, meine Stimmungen und alle technischen Abläufe, die bei den mehrfachen Übermalungen auftreten, in Übereinstimmung zu bringen. Und dann tauchen Erinnerungen an Horizonte auf, die sich wie ein Geschenk in den Schaffensprozess einfügen. Unmöglich ist es mir jedenfalls, unmittelbar einen bestimmten Horizont, ein bestimmtes Licht sozusagen "sur le motive" zu malen.
Das Mittelalter kannte nur den transzendenten Himmel, durch den Goldgrund symbolisiert, bis dieser von "wirklichem" Licht verdrängt wurde. Zentral- und Farbperspektive ermöglichten es, innerhalb des Bildes eine Art Mikrokosmos zu gestalten, dem die gesamte Komposition untergeordnet wurde.
Spätere Bildauffassungen (wie die eines El Greco) hoben diese strikte Trennung zwischen Erde und Himmel auf, und der Barock bevölkerte die Himmel mit Engeln und anderen mythischen Wesen. Aber auch in der Moderne (z.B. bei Marc Chagall) schweben Liebespaare in der "Luft".

Ein Motiv, das ich besonders reizvoll finde, sind "Spiegelungen". Nicht nur der Himmel, sondern Alles, seien es Lebewesen oder Pflanzen, können sich z.B. in einer Wasseroberfläche spiegeln, wie selbstverständlich auch der Mensch (Narziss, der sich selbstverliebt anschaut!). So ist der Spiegel schon früh ein Symbol für das Bild. Ist also das Bild an sich schon Spiegel, so kann die in Himmel und Wasser geteilte Bildfläche die Natur verdoppeln. So kommt es zu einer Umkehrung im "Gespiegeltsein", wie etwa bei Monets Seerosenbildern, in denen das Oben im Wasser gesehen wird. Die auf dem Wasser schwimmenden Pflanzen, die Uferzone, der Wolken, all das zeigt sich nun sozusagen verkehrt herum im Wasser und der Himmel wird überflüssig. Wasser können aber auch durch Wellengang verdunkelt oder gar undurchdringlich sein, so dass kein Bild mehr zurückgeworfen wird, höchstens ein Farbschein übrig bleibt.

"Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See...,"

So beginnt das Gedicht "Hälfte des Lebens" von Friedrich Hölderlin, dessen Titelwort "Hälfte" ja ebenfalls auf diese Spiegelung des Lebens als eines Zweigeteilten verweist. Also eines von Frucht und Blüte, das bereits gelebt und nur als Reflex im Erinnern angeschaut werden kann, und eines, das in der Zukunft liegt und auf Totes und Erstarrtes verweist. Ein elementares bildnerisches Problem, das sich aus der Zweiteilung Himmel Erde ergibt, ist die Gestaltung der Grenze, die dadurch entsteht. Diese "Linie" kann ich betonen (z.B. durch Lichtkontrastierung, Farbkontraste) ich kann sie aber auch abschwächen, verwischen, so wie Himmel und Meer bei bestimmtem Licht in der Ferne verschwimmen. Gleichzeitig definiert die Grenze aber auch erst die beiden Farbflächen – und diese Wechselbeziehung gilt es zu reflektieren. Beide Flächen können farbig "befreundet" sein, ihr Gegenteil (Hell und Dunkel) hervorkehren oder sich bis zu einer Art Monochromie annähern.
Horizonte fesseln meine Augen auch, weil sie mir den Übergang aus einer Sphäre in eine andere vorführen. Ich erkenne, wie sehr ich eingespannt bin in die Dialektik zwischen Körperlichem und Geistigem. Der Übergang vom materiell Schweren der Erde zum lichten Luftraum kann unser künftiges Hinübergehen aus dem Leben im Tod in ein Anderes symbolisieren. So gesehen ist wiederum eine Spiegelung vorhanden, denn die Erde, das Unten, ist zwar Schauplatz, Bühne alles Lebendigen, aber gleichzeitig auch Ort alles Vergänglichen. Mir kommen Gemälde von Jakob von Ruisdael in den Sinn, der Land und Himmel durch eine entfernte Kirchturmspitze verklammert, oder von Caspar David Friedrich, der seine Landschaften vergeistigt, indem die Berge nach oben sich mit dem Licht zu vermählen scheinen. Bisweilen verdecken Nebelschleier die Übergänge von Erde und Himmel, somit führt dieser Schleier noch deutlicher die Verschiedenheit der Elemente vor Augen.
Diese Nebeltücher können wie Vorhänge einer Bühne das Licht dramatisieren, was gleichsam ein göttliches Schauspiel zeigt.
Gestern Abend brach die Abendherbstsonne noch einmal durch die Wolken und erhellte seitlich einen Streifen Himmel, in dem Vogelschwärme kreisten.
Darüber lastete dunkel eine schwere Wolkenwand, welche die darunterliegende Ebene fast schwarz erscheinen ließ. Dann verwob die Dämmerung alles in einem dichten Blau und die Nacht senkte sich, das Lichttheater beendend, herab.

September 2004