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Demnächst erscheint mein neues Buch

Sternenschutzgebiet - Bilder und Erinnerungen
Peter Liebl, 2024
100 Seiten, 41 farbige Abbildungen
Morsbach Verlag Regensburg
ISBN 978-3-96018-130-9
17,90 €

mit vielen bislang unveröffentlichten Texten und Bildern.

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Blick ins Buch

Auszüge aus den Tagebüchern ab 2000

28.8.2000

Wie in einem Traumbild entsteht vor mir ein Gesicht, das unsagbar traurig ist, vom Weinen gerötete Wangen hat und einsam ist. Gleichzeitig strahlen diese aufgerissenen Augen aber auch Güte und Verzweiflung, Erschrecken aus. Durch diese Augen hindurch (wahrscheinlich die Augen meiner Mutter) sehe ich auf andere ungezählte Augen aller Kreaturen. Ich versuche diesem Blick standzuhalten, das Gesicht nicht zu verlieren, mich seiner immer wieder neu zu vergewissern. Bisweilen aufschauend, in die Nacht, in den Sternenhimmel, um darin neue Kraft für die Nähe zu schöpfen.
Eine zweite unauslöschliche Urerfahrung, der ersten nicht unverwandt: der Verlust von Geborgenheit und Liebe, die Unentrinnbarkeit des Leidens, das Eingesperrtsein in verschuldete und unverschuldete Abläufe. Diese Erfahrung hat den Figuren wie mit einem Blitzschlag ein metallenes Gewand übergeworfen, so dass sie erstarrt wirken. In mühsamer Arbeit versuche ich nun, und nicht immer gelingt es durch die Energien von Licht und Farbe diese „Erstarrung“ aufzulösen. Meist im Gegenpol der Bauchgegend wird eine Art zweite Kraftquelle gegenüber dem Gesicht wirksam, damit die visuellen Kräfte hin und her fließen können. Waren es ursprünglich die ineinander verschränkten Hände, so sind es folgend eine Katze und schließlich das „Kind“. Gleichwertig eingebettet jedoch durch die Rückbindung ans Firmament ergibt sich ein abstrakter malerischer Umraum, der universell verstanden wie bei Mondrian z.B., das Subjekt(ive) und das Objekt(ive), beides in ein Spannungsverhältnis setzen, was natürlicherweise nicht ohne Brüche geschehen kann.

11.5.2003

Das schöpferische Auge kennt keine "Sehpause", es wird ständig mehr oder weniger wach Ereignisse und Farbzusammenhänge aufnehmen und verarbeiten.
Jedem Bild erwächst eine fortwährende Dynamik, auf die ich reagiere, sie negieren hieße bei Null beginnen. Doch nicht nur das Objektive, das Werk, sondern auch der Künstler, das Subjekt, unterliegen einer spezifischen Dynamik (vielleicht berührt dies den Begriff "Temperament", wie ihn Cézanne gebrauchte), so ändert sich beispielsweise durch jahreszeitliche Einflüsse die Farbwahl. Gerade von daher fördern Arbeit und Reflexion eine gewisse Balance und vielleicht ergibt dies so etwas wie einen persönlichen Stil. Natürlich setzt die Konzeption bestimmte Prioritäten, eine reduziert flächig abstrakte Malerei etwa wird entschieden auf die Farb-Licht-Zusammenhänge achten, räumliche, emotionale und andere Farbwirkungen werden nicht zufällig sein, ebenso Malweise, Textur, Farbauftrag, das Format usw ...
Bewusst verzichte ich auf persönliche, politische oder aktuelle Einsprengsel. Vielmehr vertraue ich dem Meditativen und Mystischen, in der Hoffnung auf ein Quäntchen Freiheit.

11.5.2003

Jeder Suchende stößt wohl irgendwann auf eine Quelle der Inspiration, auch auf die Gefahr hin, gleich wie Narziss nur sein eigenes Spiegelbild in der Quelle zu entdecken. Diese Quellen oder( prosaischer) „Bohrlöcher“ weisen natürlich unterschiedliche Tiefen und Ergiebigkeiten auf.
So wurde mir etwa 1973 die Begegnung mit den Gemälden Piero della Francescas zu einer bis heute nicht versiegten Quelle von grundlegend malerischer Wahrheit. War es zunächst nur Begehren und Bewundern, kristallisierte sich allmählich die Erkenntnis heraus, wie hier ein Genie sehr früh die Form aus der Farbe gebildet, Göttliches in einfachen, erlebten Gesichtern zu fassen verstand. Doch weiterhin wurde mir bewusst, wie das „Statuarische“ mich fast wesensverwandt faszinierte, diese künstliche - im positiven Sinne - Ruhe, die über allem, selbst dem dramatischen Geschehen schwingt. Eher wankelmütig kehrte ich um und suchte jetzt verstärkt nach einem gültigen Menschenbild, eines, das nach Bacon oder Giacometti noch Aussagekraft besäße!
Kunst ist nicht linear, diskursiv wie die denkende Wissenschaft und siehe da, vielleicht durch glückliche Zufälle entstand ein Bild, in dem Figur und abstrakte, also nicht abbildende Formen miteinander in Spannung gesetzt sind. Es bereitete mir keine Mühe mehr, und ich sah auch nichts Gewalttätiges darin, Bilder von Piero und Cézanne, Vermeer und Mondrian zusammenzusehen, besser, ihre allgemeingültigen Momente aufzuspüren.
Diese Entdeckungen zeigen mir das unveränderliche Prinzip des Kunstschönen, das allen Artefakten innewohnt.
„Kunst ist eine Sehnsucht zu Gott “Jawlensky . Solche Haltungen halfen auch meine Position zu stärken. Die Zwiesprache mit den toten Meistern ermuntert mich, in meiner Arbeit fortzufahren.
Den entscheidenden Antrieb zur Kunst sehe ich also in der Sehnsucht nach der dem Menschen verborgenen Vollkommenheit, die er wenigstens modellhaft zu bilden sucht. Begriffe, die sich damit verbinden, wie Schönheit, Geist, Harmonie, Wahrheit, Einfachheit usw., bleiben natürlich vage und ungefüllt, solange sie nicht am einzelnen Kunstwerk sinnlich erfahren werden können.
„Ich wurde frei in dem Maße, wie meine Augen frei wurden“, formulierte Pisarro einmal. Diesen Prozess gilt es voranzutreiben.

4.6.2004

Da die Werbung die Kunst immer mehr aushöhlt, wir einer „Warenreligion“ ausgeliefert sind, verändert es auch unsere Wahrnehmung.
Für mich war Kunst immer mit Religion verknüpft, was viele nicht mehr verstehen. Wie soll ich reagieren? Vielleicht durch eine noch hermetischere Malerei, die sozusagen außerhalb der Zeit darauf hofft, irgendwann angenommen zu werden.

7.7.2004

Plötzlich stecke ich wieder voller Ideen, so sehr, dass ich – sobald ich ein Bild beginne – versucht bin, die vorgefasste Intention zu verlassen, um einen anderen Weg einzuschlagen.
Was mich schon in frühen Jahren als kompositorisches Mittel fasziniert hat, ist das „Gitter“. Zu Anfang waren es käfigartige Objekte, dann folgten Schachbrettkompositionen und sich auf der Fläche kreuzende Farbbänder.
Jetzt setze ich Farbblöcke in die zweigeteilten Horizontbilder. Ich muss mir erst der Wirkung dieser neuen Kompositionen bewusst werden.

7.12.2004

Nebelbilder begonnen in Auseinandersetzung mit C. D. Friedrichs Bild „Ostermorgen“. Je länger man dieses wunderschöne kleine Bild betrachtet, desto farbiger wird es, gleichzeitig ist es eine Art blinder Spiegel des Inneren.

11.1.2006

Wie kann ich das Sternenlicht malen ohne konkrete Formen wie Sterne?
Als ich Vincent van Goghs Bild „Sternennacht“ wiedersah, erwachte in mir der Wunsch, eben dieses Motiv zu malen. Aber ich fühlte, ich kann nicht zurück in die Romantik früherer Tage. Ich muss eine neue Lösung finden.

2.5.2005

Die Figur mit dem Raum so zu verschmelzen, dass gleichermaßen eine Balance entsteht, ist die malerische Aufgabe, die es zu lösen gibt. Um dies zu erreichen, muss die Figur gleichsam zurücktreten ohne ihre Verankerung im Bild zu verlieren.

17.5.2005

Bei den Horizontbildern geht es vor allem darum, die Grenze zu finden zwischen Gegenständlichkeit (Abbild) und Abstraktion (Lichtform), also die Horizontlinie zu gestalten, die vermittelt zwischen realer und geistiger Welt.

18.6.2005

Zuerst einmal ruhig werden, lauschen. Es passiert so viel simultan in jedem Augenblick und man müsste eintauchen können in jeden wie in eine Welle des Meeres, eins werden mit dem Rhythmus der Natur. Das ist das Geschenk, das die Stille gibt. Diese Übereinstimmung wiederum ermöglicht kreatives Denken und Handeln. Jede Blume, jedes Grün, jeder Laut eines Vogels lädt ein zu verweilen. Vielleicht öffnen sich dann auch die Ohren für den göttlichen „Sender“.

25.6.2013

Ich möchte wieder einmal eine Madonna malen, vielleicht mit einer Rosengirlande, diese aber sollte dekorativ, gegenständlich und gleichzeitig auch abstrakt sein, so dass die Rosen sich im Gesicht der Madonna widerspiegeln und das Gesicht so ein Abglanz der Rose wäre.
So überfordere ich mich und doch auch wieder nicht, denn es ist nötig, größere Schönheit zu träumen, als dass man sie schaffen kann.

26.6.2013

Wie werden die Bilder mehr Licht? Farbe muss sich in Licht verwandeln!
Das ist das Geheimnis der Malerei.

Als ich begann die ersten Horizontbilder zu malen, wurde mir bewusst, dass ich mit den beiden Quadraten, die ich übereinander setzte, auf das reagierte, was ich täglich vor meinem Atelierfenster vor Augen habe, wenn ich über die weite Donauebene schaue, bis sich der Blick in der Ferne verliert. In den Horizonten schlagen sich Stimmungen nieder, wie Schwermut, die sich in Dämmerungen, aber genauso Heiterkeit, die sich in aufhellenden Himmeln und klaren Trennungslinien zeigt.
Im Prado diesen Sommer richtete ich meine Augen auf die Horizonte, die bei vielen Malern eine Rolle, bei manchen eine wichtige spielen. Schon in der Frührenaissance, in dem Augenblick, da Landschaft ins Bild rückt, kann ich an der Malerei von Himmel und Erde, von Oben und Unten, sehr viel über die künstlerische Wesensart erfahren, obwohl dieser Bildbereich in den Figurenkonstellationen eher ein Nebenbereich sind. Erst die Abstrakten brechen mit diesem Schema, wie es etwa bei Jakob von Ruisdael oder Caspar David Friedrich sichtbar ist. Allerdings kehren die Horizonte in gewisser Weise in nicht realistischer Auffassung wieder, etwa bei Rothko, Newman oder Calderara.
Auf dem Rückflug – ein klarer Augusthimmel – sah ich unter mir die Erde, in Flughöhe Wolkengebilde und darüber den tiefblauen Äther. Da dachte ich, ob ich nicht einmal ein Bild quasi mit einem erhöhten Horizont – die Wolken als Mitte – versuchen sollte. Spannend beim Malen der Horizontbilder ist für mich das nicht voraussehbare Endergebnis; vorausgesetzt, es gelingt mir, meine Stimmungen und alle technischen Abläufe, die bei den mehrfachen Übermalungen auftreten, in Übereinstimmung zu bringen. Und dann tauchen Erinnerungen an Horizonte auf, die sich wie ein Geschenk in den Schaffensprozess einfügen. Unmöglich ist es mir jedenfalls, unmittelbar einen bestimmten Horizont, ein bestimmtes Licht sozusagen "sur le motive" zu malen.
Das Mittelalter kannte nur den transzendenten Himmel, durch den Goldgrund symbolisiert, bis dieser von "wirklichem" Licht verdrängt wurde. Zentral- und Farbperspektive ermöglichten es, innerhalb des Bildes eine Art Mikrokosmos zu gestalten, dem die gesamte Komposition untergeordnet wurde.
Spätere Bildauffassungen (wie die eines El Greco) hoben diese strikte Trennung zwischen Erde und Himmel auf, und der Barock bevölkerte die Himmel mit Engeln und anderen mythischen Wesen. Aber auch in der Moderne (z.B. bei Marc Chagall) schweben Liebespaare in der "Luft".

Ein Motiv, das ich besonders reizvoll finde, sind "Spiegelungen". Nicht nur der Himmel, sondern Alles, seien es Lebewesen oder Pflanzen, können sich z.B. in einer Wasseroberfläche spiegeln, wie selbstverständlich auch der Mensch (Narziss, der sich selbstverliebt anschaut!). So ist der Spiegel schon früh ein Symbol für das Bild. Ist also das Bild an sich schon Spiegel, so kann die in Himmel und Wasser geteilte Bildfläche die Natur verdoppeln. So kommt es zu einer Umkehrung im "Gespiegeltsein", wie etwa bei Monets Seerosenbildern, in denen das Oben im Wasser gesehen wird. Die auf dem Wasser schwimmenden Pflanzen, die Uferzone, der Wolken, all das zeigt sich nun sozusagen verkehrt herum im Wasser und der Himmel wird überflüssig. Wasser können aber auch durch Wellengang verdunkelt oder gar undurchdringlich sein, so dass kein Bild mehr zurückgeworfen wird, höchstens ein Farbschein übrig bleibt.

"Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See...,"

So beginnt das Gedicht "Hälfte des Lebens" von Friedrich Hölderlin, dessen Titelwort "Hälfte" ja ebenfalls auf diese Spiegelung des Lebens als eines Zweigeteilten verweist. Also eines von Frucht und Blüte, das bereits gelebt und nur als Reflex im Erinnern angeschaut werden kann, und eines, das in der Zukunft liegt und auf Totes und Erstarrtes verweist. Ein elementares bildnerisches Problem, das sich aus der Zweiteilung Himmel Erde ergibt, ist die Gestaltung der Grenze, die dadurch entsteht. Diese "Linie" kann ich betonen (z.B. durch Lichtkontrastierung, Farbkontraste) ich kann sie aber auch abschwächen, verwischen, so wie Himmel und Meer bei bestimmtem Licht in der Ferne verschwimmen. Gleichzeitig definiert die Grenze aber auch erst die beiden Farbflächen – und diese Wechselbeziehung gilt es zu reflektieren. Beide Flächen können farbig "befreundet" sein, ihr Gegenteil (Hell und Dunkel) hervorkehren oder sich bis zu einer Art Monochromie annähern.
Horizonte fesseln meine Augen auch, weil sie mir den Übergang aus einer Sphäre in eine andere vorführen. Ich erkenne, wie sehr ich eingespannt bin in die Dialektik zwischen Körperlichem und Geistigem. Der Übergang vom materiell Schweren der Erde zum lichten Luftraum kann unser künftiges Hinübergehen aus dem Leben im Tod in ein Anderes symbolisieren. So gesehen ist wiederum eine Spiegelung vorhanden, denn die Erde, das Unten, ist zwar Schauplatz, Bühne alles Lebendigen, aber gleichzeitig auch Ort alles Vergänglichen. Mir kommen Gemälde von Jakob von Ruisdael in den Sinn, der Land und Himmel durch eine entfernte Kirchturmspitze verklammert, oder von Caspar David Friedrich, der seine Landschaften vergeistigt, indem die Berge nach oben sich mit dem Licht zu vermählen scheinen. Bisweilen verdecken Nebelschleier die Übergänge von Erde und Himmel, somit führt dieser Schleier noch deutlicher die Verschiedenheit der Elemente vor Augen.
Diese Nebeltücher können wie Vorhänge einer Bühne das Licht dramatisieren, was gleichsam ein göttliches Schauspiel zeigt.
Gestern Abend brach die Abendherbstsonne noch einmal durch die Wolken und erhellte seitlich einen Streifen Himmel, in dem Vogelschwärme kreisten.
Darüber lastete dunkel eine schwere Wolkenwand, welche die darunterliegende Ebene fast schwarz erscheinen ließ. Dann verwob die Dämmerung alles in einem dichten Blau und die Nacht senkte sich, das Lichttheater beendend, herab.

September 2004