Springe zum Inhalt

“Das Bild ist ein Fenster” – Rede von Prof. Dr. Sigmund Bonk am 14.09.2018 in Ihrlerstein

Sehr geehrter, lieber Herr Liebl mit Gattin Monika,
sehr geehrter Herr Pfarrer Koller,
sehr geehrte Frau Dr. Maria Baumann,
meine sehr verehrten Damen und Herren!

Die schöne Aufgabe, in die Ausstellung „Das Bild ist ein Fenster“ einzuführen, habe ich mit Freude übernommen, und ich bedanke mich bei den Organisatoren für das damit verbundene Vertrauen.

Nun aber los: „Das Bild ist ein Fenster“ - vielleicht gelingt es, diese Ausstellung besser zu verstehen, indem wir weiterfragen, was denn ein Fenster sei. (Wir könnten auch fragen, was ein Bild sei, aber davon rate ich ab. Mit dieser Frage quält sich mittlerweile ein interdisziplinärer Wissenschaftszweig ab, die „Bildwissenschaft“ oder „Visualistik“, als Pendant zur „Zeichenwissenschaft oder „Semiotik“.) Gehen wir somit den viel leichteren Weg.
Nochmals: „Was ist ein Fenster?“

Nun, dabei handelt es sich um den durchsichtigen Teil eines Gebäudes, der sich fast immer an dessen Außenwänden befindet. Die meisten Fenster lassen sich öffnen, betreten, durchquert werden sie allerdings nur von Hausfrauen, Fensterputzern oder Suizidgefährdeten. Da Fenster auch Licht Einlass gewähren, sind sie primär nicht auf den ganzen Leib des Menschen, sondern auf sein Auge bzw. auf den Gesichtssinn bezogen. Für gewöhnlich schaut man aus einem Fenster hinaus ins Freie: Nur Briefträger, Verliebte und Spanner schauen gelegentlich auch einmal durchs Fenster herein. Aber von der Blickrichtung unabhängig, verbindet ein jedes Fenster diaphan den kleinen Innen- mit dem großen Außenraum. Obwohl wir uns dessen kaum einmal bewusst sind, handelt es sich bei diesem „großen Außenraum“ eigentlich um den kosmischen Raum insgesamt, der grenzenlos und in diesem Sinn auch unendlich ist. In einer etwas kühnen und metaphysikverdächtigen Zuspitzung dieses Gedankens ließe sich somit das Fensterthema abschließend formulieren: Fenster sind auf den Gesichtssinn bezogene Mediatoren zwischen Endlichkeit- und Unendlichkeit.

Es steht zu hoffen, dass wir mit diesem Definitionsversuch eines Fensters einem Verständnis der Ausstellung und damit den Werken von Peter Liebl ein wenig näher gekommen sind.

Also weiter: Bereits in der ersten Monographie über Peter Liebl und sein Werk, dem schönen Bildband „Peter Liebl Bilder 1979 – 1999“ mit Beiträgen von Heribert Schneidler und Patrick Roth aus dem Jahre 1999, findet sich auf der Innenklappe des Schutzumschlages folgendes Zitat des international bekannten Architekten, Museumsleiters , Galeristen und Kurators Gerwald Sonnberger:

Diese jahrhunderte-, jahrtausende alte Ikonographie – wie sie erinnert an byzantinische Darstellungen und Ikonen, oder eben herauf über die Renaissance zur Barockzeit: der Mensch als Mittelpunkt, als zentraler Mittelpunkt. Das Bedürfnis den Menschen darzustellen, hat Liebl dazu gebracht, eine Form zu finden, wie er die Abstraktion verbinden kann mit dem Menschen.

Sonnberger verstarb nur zwei Jahre nach dem Erscheinen des besagten Bildbandes im Alter von 51 Jahren, während der Errichtung einer großen Galerie für moderne Kunst in New York. Da ich seine Aussage für sehr hellsichtig und scharfsinnig halte, möchte ich meine Einführung zu dieser Ausstellung hieran anknüpfen.

Peter Liebl ist es in seiner Malerei tatsächlich ganz zentral um den Menschen zu tun, meines Erachtens auch in seinen ungegenständlichen Bildern, die äußerst subtil Farbflächen bzw. deren bestimmte Atmosphären zueinander in Beziehung setzen, dazu auch in seinen „Horizontbildern“, darin sich Erde (bzw. Meer) und Himmel wie Leib und Seele berühren.

Alle diese Werke, die sich dem flüchtigen Blick hermetisch entziehen, scheinen mir als Versuche gelesen werden zu müssen, die geistige Dimension des Menschen ins Bildliche zu übersetzen. Denn wie der Mensch nicht vom „Brot allein“ lebt, so ist er auch nicht allein Stoff, sondern hat durch sein Bewusstsein, seine Vernunft und schöpferische Kraft, Werterkenntnis und Sehnsucht nach dem Vollkommenen ebenso Anteil am Geist bzw. an dessen Freiheit und Unvergänglichkeit.

In der für ihn charakteristischen scharfen Pointierung und Aphoristik hat der Römer Seneca diesen Gedanken wie folgt ins Wort gebracht. „Est deus in nobis“, „In uns ist Gott , in uns wohnt etwas Göttliches“ Immer wieder in ungezählten Variationen brachte Liebl diesen ja eigentlich bestürzenden Gedanken ins Bild, hat er diese Idee anschaulich werden lassen: Für mich am eindrucksvollsten in seinen Madonnen! Sie zeigen den Menschen Maria und in deren Herzmitte das göttliche Kind: Wieder berühren sich Himmel und Erde beziehungsweise Himmel und Meer.

Meine Damen und Herren! Ein wenig geniert es mich schon, diesem Gedanken nun sogleich ein Zitat an die Seite zu stellen, das bereits in vielen Laudationen zu hören gewesen ist – aber es passt zu dieser Ausstellung in diesen adäquaten Räumen deutlich besser als zu vielen anderen Vernissagen. Sie alle kennen es und viele wissen auch, dass es von Paul Klee stammt:

Kunst gibt nicht so sehr Sichtbares wieder, Kunst macht sichtbar.

Und von hier lässt sich ein weiteres Mal an das einleitende Zitat von Sonnberger anknüpfen. Dieser bestimmte darin Liebl nicht nur als Maler des Menschen, sondern als einen Maler, der dies in der großen Tradition der „byzantinischen Darstellungen und Ikonen“ leiste. Diese Ikonen dürfen, so scheint mir, als die intensivsten und von den späteren kaum einmal erreichten „Sichtbarmacher des Unsichtbaren“ gelten.

Ein Blick auf die Ikonen kann deswegen weiter helfen, einige wichtige Aspekte der Lieblschen Malerei zu entschlüsseln. Hierzu gehört die Sympathie für breitflächig aufgetragene, oft helle und sehr reine Farben, deren Leuchtkraft durch kontrastierendes Schwarz oder durch Komplementärfarben noch erhöht wird. Dazu fügt sich stimmig die weitgehende Reduktion alles Dreidimensional-Körperlichen auf die Fläche, eine optische Tiefenlosigkeit, welche sich (insbesondere bei den religiösen Bildmotiven) in einem erregenden Spannungsverhältnis zur ikonologischen Tiefe des Bildsujets befindet.

Meines Dafürhaltens hat der Wuppertaler Philosoph und Phänomenologe Klaus Held das Wesen der Ikonen trefflich ins Wort gebracht, wenn er schreibt:

Die kultischen Bilder der ostkirchlichen Mosaiken und Fresko- und Ölmalerei, die `Ikonen`, sind Kunst gewordene Lichtmetaphysik, Abbilder, die für den Gläubigen ein Fenster [eigene Hervorhebung] sind, durch die er in das lichterfüllte Jenseits schaut. Das übernatürliche Licht Gottes – mit Plotin gesprochen: der Glanz – strahlt abbildlich wider im Glanz des Goldgrunds der Mosaiken. Die völlig flächig gewordenen Figuren sind so etwas wie Mattscheiben, auf denen die Ewigkeit durchleuchtet. Die figürliche Darstellung darf keine perspektivisch-leibliche Tiefe haben, weil sich damit gewissermaßen eine Schicht von verdunkelnder Körperlichkeit zwischen das göttliche Licht und unser Sehen schieben würde. Die Figuren müssen in sich tiefenlos sein, um gerade so völlig durchsichtig zu werden für die wahre Tiefendimension unseres Lebens, den Glanz der Ewigkeit.“
(Klaus Held: Treffpunkt Platon, Stuttgart 1990, S. 329)

Bei dieser Nähe zur Spiritualität der klassischen Ikonenmalerei lässt es sich nicht vermeiden, Peter Liebl einen „unzeitgemäßen Künstler“ zu nennen. Zeitgenössische Kunst ist oft laut, politisch und unterschwellig nihilistisch. Sie ist in steter Gefahr, gesellschaftliche Fragen als die wichtigsten überhaupt zu verstehen. Mir ist bekannt, dass dieser Zeitgeist an den jungen Studenten der Münchner Kunstakademie der 68-Jahre nicht gänzlich vorübergegangen war ... Aber danach wendet sich die Aufmerksamkeit des Malers und Kunstpädagogen im Domspatzen-Gymnasium Regensburg den existenziellen und damit auch den häufig sog. „ewigen“ Fragen zu.

Verdichtet in dem Menschen Maria und ihrem göttlichen Kind wird beherzt das Thema „Gott und Mensch“ angepackt – unterschwellig nicht selten ergänzt durch die Thematik des Bösen: Da ist die ewige Widersacherin zum Guten, Wahren, Schönen, im Symbol der Schlange, da geht ein Riss durch den Menschen hindurch, da blicken einem blutunterlaufene Augen schmerzhaft mitten ins Herz. Da wird immer wieder auch ein Kreuz aufgerichtet mit einem daran haftenden, oft seltsam rothaarigen Christus. (Ich erinnere – nicht den Herrn Pfarrer, der weiß es) an den heutigen Festtag „Kreuzerhöhung“. Einen geeigneteren Tag hätte man für die Vernissage zu dieser Ausstellung kaum wählen können.)

Eine große verständnisvolle Nähe zum leidenden Gott und zur leidenden Kreatur tut sich kund, wie im Hintergrund dazu, aber auch ein komplementäres großes JA zur Wirklichkeit wie sie ist, ein „Ja – trotz allem (schrecklichen) Leid.“

Peter Liebls Kunst ist unzeitgemäß – aber, das sollte auch ganz klar sein, auf eine sehr zeitgemäße Weise. Liebl ist jeglicher vorschnellen Harmonisierung oder an den Kitsch streifenden Historisierung (wie wir sie von vielen religiösen Bildern v.a. des 19. Jahrhunderts gewohnt sind) abhold und erstrebt reine Schönheit abseits aller frömmlerischen Wallfahrtspfade. In seinen Bilderwelten lebt eine klare und oft kühle Luft. Gerade auch die hier so eindrucksvoll präsentierten Werke offenbaren einen lauteren Charakter, der eine starke Sehnsucht nach einem höheren, idealen Menschsein in sich birgt.

Peter Liebls Kunst erstrebt die Vermittlung mit dem Unaussprechlichen, sie dient (ganz klassisch) zweckfrei dem Schönen und Idealen. Sie verbindet bewusstes mit unbewusstem Tun und gibt dem scheinbar Alltäglichen, etwa der Mutter und ihrem Kind , der Schwangeren, dem Mädchen ihre eigentliche tiefe Bedeutung und Würde zurück. Damit verschmilzt diese Malerei das Natürliche mit dem Übernatürlichen.

Goethe sagt von einer Kunst, der genau dies selten gelingt, sehr lapidar und überraschend, sie habe „Stil“. Ich beziehe mich hierbei auf seinen kaum einmal gelesenen Aufsatz mit dem Titel „Einfache Nachahmung der Natur, Materie, Stil“, den er im Revolutionsjahr 1789 in der Zeitschrift „Der Teutsche Merkur“ veröffentlicht hat.

Hierin werden von Goethe drei Stufen künstlerischer Meisterschaft unterschieden, deren erste in der „Nachahmung der Natur“ liege. Goethe schreibt:

Wenn ein Künstler […] sich an die Gegenstände der Natur wendet, mit Treue und Fleiß ihre Gestalten, ihre Farben auf das Genaueste nachahmt, sich gewissenhaft niemals von ihr entfernt […] ein solcher würde immer ein schätzenswerter Künstler sein.

Allerdings wäre durch diese Verdopplung der Wirklichkeit nicht allzu viel gewonnen…

Eine höhere Stufe habe der Künstler erklommen, dem es gelingt, die Eigenart des „Materials“ (im Sinne von Bildgegenstand), mit welchem er [der bildende Künstler] sich befasst, nach eigener Art und Idee zu ordnen, zu gestalten und auszudrücken. Ich zitiere nochmals Goethe:

Es verdrießt [diesen höheren Künstler] der Natur ihre Buchstaben im Zeichnen nur gleichsam nachzubuchstabieren, er […] macht sich selbst eine Sprache, um das, was er mit der Seele ergriffen, wieder nach seiner Art auszudrücken.

Die höchste Stufe der Kunst hat aber Goethe zufolge (in seinem Sinne des Wortes) „Stil“. Dieser beruht auf einem tiefen intuitiven Wissen vom Wesen der Dinge:

insofern es uns erlaubt ist, es in sichtbaren und greiflichen Gestalten zu erkennen.

Ein solches Kunstwerk sei ein Werk des menschlichen Geistes und zugleich ein „Naturwerk“. Hier werde das Zerstreute in Eins gefasst und noch die gemeinsten Gegenstände würden in ihrer Würde und Bedeutung erkennbar. In solchen Werken findet eine Art von übernatürlicher Wirklichkeitserfahrung durch den Künstler statt – eine solche jenseits der wissenschaftlichen. Der Künstler tritt dem Wissenschaftler zumindest gleichwertig, ja Goethe zufolge, sogar überlegen an die Seite.

Bemerkenswert an diesen Ausführungen ist auch, wie der Dichter den drei Stufen des Kunstwerks beziehungsweise Künstlers gleichviele korrespondierende des Kunstrezipienten gegenüber stellt. Der eine Betrachter liebt die Naturnähe und Ähnlichkeit der Darstellung mit dem Dargestellten, der andere die Neuordnung des sichtbaren „Materials“ unter einer spezifischen Idee (oder „Handschrift“), der reifste und sensibelste Betrachter aber erfreut sich an der ins Werk gesetzten, „anschauenden Erkenntnis“ des Künstlers, dem wirklicher „Stil“ zu eigen ist.

Damit es überhaupt zu dem spezifischen Glück des ästhetischen Genießens kommen kann - es handelt sich dabei um eine Art „Verkosten“ eines eigentümlichen sowohl sinnlichen als auch intellektuellen Werts, der sog. Schönheit – müssen Werk und Rezipient (Betrachter) stets irgendwie fruchtbar zusammenwirken, so wie auch Bogen und Geige zusammenwirken müssen, auf dass ein schöner Ton entstehen kann.

Und ganz wie der volle Geigenton ein besonderes Glück vermittelt, so auch die Betrachtung eines qualitätsvollen Gemäldes. Freilich gibt es neben Menschen, denen jeder Sinn für Musik fehlt, (den „Unmusikalischen“), auch solche ohne rechten Sinn für bildende Kunst und insbesondere für Malerei – allerdings nicht hier und jetzt, weswegen von diesen weiter keine Rede zu sein braucht. Aber von den diametral anderen, denjenigen, die Kunstwerke nicht nur verstehend genießen, sondern solche auch hervorbringen können, soll nun auch noch kurz gesprochen werden. Wenn schon das Schauen der Schönheit beglückt, wie beglückend fragt sich der Nichtkünstler, muss dann doch erst das selbständige Schaffen des Schönen sein? Gibt es denn, so lässt sich weiter fragen, so etwas wie eine Skala des Glücks, das verschiedene Glücksarten zwischen einem Minimal- und Maximalwert einordnet?

Gibt es! Und sogar schon ziemlich lange. In der Mitte des 13. Jahrhunderts, also in der „Hochmittelalter“ genannten Epoche der Kathedralen, schrieb Thomas von Aquin einen sehr umfangreichen Traktat („Summa contra gentiles“), in dessen 3. Band (Kapitel 27 ff.) er eine solche Skala entwirft. Dieser zufolge ist die relativ geringste , zugleich auch geringwertigste Form der menschlichen Glückseligkeit diejenige, welche aus der „Fleischeslust“ entspringt („felicitas humana non constitit in delectationibus carnalibus“) Die höchste Art der Glückseligkeit, das entgegen gesetzte Ende der Skala, sei mit der glückseligen Schau – „visio beatifica“ – des vollkommenen Gottes verbunden, wie sie den glückseligen Geistern im Himmel gewährt würde. Dazwischen liegen das Glück geehrt zu werden beziehungsweise Ruhm zu genießen, Reichtum und Wohlstand, Macht, die Freude an der eigenen körperlichen Schönheit, Kraft und Stärke, die Tugend und - unmittelbar unter der – visio beatifica – das gewaltige Glück eigener gelingender künstlerischer Tätigkeit. Wie hoch das Glück der Künstlerin und des Künstlers von Thomas (der kein Künstler, sondern Gelehrter und dazu ein Heiliger gewesen ist) veranschlagt wird, halte ich wirklich für bemerkenswert. Nachdem ich selbst wohl schwerlich in den Genuss der den Heiligen vorbehaltenen glückseligen Schau Gottes kommen dürfte, bleibt mir für ein irgendein vage zu erwartendes zukünftiges Dasein nur, mir ein wenig künstlerisches Talent auszubitten... Nur so scheint man dem höchsten irdischen Glück immerhin zumindest nahe zu kommen.

Peter Liebl aber wünsche ich, dass er das nach Thomas von Aquin für alle „Nichtheiligen“ größte Glück auf Erden, das des künstlerischen Schaffens, noch recht lange erleben und weidlich auskosten darf!

Mit diesem Wunsch glaube ich mich auch mit allen Anwesenden einig – so wie auch mit dem Dank für das große Geschenk dieser ganz besonders gut gelungenen Ausstellung.

Ihnen, Herr Liebl, ein herzliches „Vergelt`s Gott“, ein weiteres für alle, die zum Zustandekommen dieser wertvollen Ausstellung aktiv beigetragen haben. Vielen Dank auch all Ihnen für das geduldige Anhören einer vermutlich zu lang geratenen Ansprache – Peter Liebl hatte meine Redezeit mit Rücksicht auf das verehrte Publikum auf 15 Minuten begrenzen wollen, aber offensichtlich habe ich mich daran nicht gehalten. Vielleicht verzeiht er mir, wenn ich abschließend sage: Mir ist zu seinen Bildern einfach zu viel eingefallen…