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Dr. Angelika Baumann – Ferne Schönheit

Der Blick der Historikerin auf den Künstler Peter Liebl richtet sich nicht primär auf die kunsthistorische Einordnung seiner Arbeiten, auf deren Stellenwert in der sogenannten Donauschule oder vielleicht sogar auf den Marktwert seines Werks. Das sind nicht die Fragen, die mich interessieren. In Kenntnis des Menschen und Künstlers Peter Liebl nimmt mein Interesse eine andere Richtung.
Ich begebe mich auf Spurensuche nach dem Nicht-Erklärbaren seiner Bilder, ich schaue h i n t e r die Klarheit, die Harmonie und die Tiefe seiner Werke und ich frage nach der „Geschichtlichkeit“ des Künstlers selbst, der sich so stark mit den Traditionen der Malerei auseinandersetzt, sich dieser Traditionen bewusst ist, Verbindungen herstellt, diese hinterfragt. Er sieht sich als Künstler nicht als autonom Agierenden, als Solitär. Er reflektiert vielmehr die Synthese zwischen Kunst, Leben und Gesellschaft und lässt diese in seinen Arbeiten zum Ausdruck kommen.

„Das schöpferische Auge kennt keine Sehpause, es wird ständig mehr oder weniger wach Ereignisse und Farbzusammenhänge aufnehmen und verarbeiten. Jedem Bild erwächst eine fortwährende Dynamik, auf die ich reagiere. Doch nicht nur das Objektive, das Werk, sondern auch der Künstler, das Subjekt, unterliegen einer spezifischen Dynamik..., so ändert sich beispielsweise durch jahreszeitliche Einflüsse die Farbwahl...“.
(Peter Liebl in seinen Notizen aus dem Jahr 2003).

Anregungen oder sogar Beeinflussungen durch andere Künste, sei es die Musik oder die Literatur, sind dabei von großer Bedeutung. Groß seine Begeisterung beispielsweise für Adalbert Stifter. Er, der seine Figuren ziel- und endlos wandern lässt, immer bereit, vermittelt durch Natur- und Landschaftserleben, neue Sinneserfahrungen zu machen, Empfindungen zu thematisieren. Stifter, der den Leser fordert mit ausführlichen Beschreibungen dieser Natur, dessen Sinne er schärft für das Erleben von Nacht, Tag, Schatten, Dunkel, Helligkeit und Licht. Adalbert Stifter, der anlässlich der Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842 einen Text geschrieben hat – fast wie die Skizze eines Gemäldes.

„Könnte man nicht auch durch Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolge von Lichtern und Farben ebenso gut eine Musik für das Auge wie durch Töne für das Ohr ersinnen? Bisher waren Licht und Farbe nicht selbständig verwendet...
Sollte nicht durch ein Ganzes von Lichtakkorden und Melodien ebenso ein Gewaltiges, Erschütterndes angeregt werden können wie durch Töne? Wenigstens könnte ich keine Symphonie, Oratorium oder dergleichen nennen, das eine so hehre Musik war, als jene, die während der zwei Minuten (der Sonnenfinsternis) mit Licht und Farbe an dem Himmel war, und hat sie auch nicht den Eindruck ganz allein gemacht, so war sie wenigstens ein Teil davon.“

Und Peter Liebl, der sich faszinieren lässt von der alten Musik, von Heinrich Schütz zum Beispiel, einem der renommiertesten deutschen Komponisten des Frühbarocks. Er ließ sich stark von den frühen Madrigalen in italienischer Sprache beeinflussen und wurde mit einem aus Italien stammenden konzertierenden Stil wegweisend. Oder die große Bewunderung Peter Liebls für die zeitgenössische Musik und ihre Interpreten, Kim Kashkashian oder Betty Olivero, um nur einige wenige zu nennen.

Peter Liebl auch, der den weiten Blick über die Donau von seinem Atelier aus fast verinnerlicht hat. Seit 1981 arbeitet und lebt er dort mit seiner Frau Monika auf dem Burgberg in Donaustauf. Viele Porträts im Eingangsbereich, Farbkompositionen aus Rechtecken und Quadern in den Gängen und Treppenaufgängen, „Horizonte“ und Wolkenbilder – ein Haus, das die Leidenschaft in der Auseinandersetzung mit Kunst spiegelt, genauso wie das Ringen um die passende Formensprache des Ausdrucks, ein Haus voller Freude und Melancholie, voller Licht und Farbe, voller Offenheit und Rückzug, voller Begrenzung und
Weite.

„Ein die Seele befreiender Blick weitet sich vor den Fenstern nach drei Him-
melsrichtungen über die Donauebene, die sich manchmal mit einem fast italie-
nischen Licht auffüllt...Wir können froh sein, wenigsten den Blick zum Hori-
zont gerettet zu haben, wo abends im Westen die farbigen Lichter der Stadt wie
von einem Meeresgestade herüberflirren und im Osten im Frühdunst die ver-
trauten Berge des Bayerischen Waldes ihre blauen Segel spannen.“

so Peter Liebl in einem seiner Texte „Dunkle Flecken“.
Die Donau spielt eine Rolle in diesem Künstlerleben. Oberflächlich zeugen die Stationen seiner Ausstellungen von dieser engen Bindung an den europäischen Strom - ob es nun Regensburg, Wien, Budapest, Linz, Bukarest gleich bei der Donaumündung, ist, oder aber auch Vilshofen an dieser großen Lebensader. Jenseits solch sichtbaren Beweises der Annäherung an diesen europäischen Fluss weiß Peter Liebl um die metaphorische Bedeutung jenes Stroms, der Kulturen und Zivilisationen, den Orient mit dem Okzident verbindet, Horizonte eröffnet und erweitert, besondere Farben und besonderes Licht entstehen lässt, Grenzen zieht, Sehnsüchte erweckt, ein melodischer Strom, so hat Hölderlin ihn genannt – in seiner Hymne über den Ister, die Donau also, die mit den Worten beginnt: “Jetzt komme, Feuer! Begierig sind wir zu schauen den Tag...“. - ein Anruf an die Sonne, das Licht, die Farbgebung - das Wesentliche - auch in der Malerei.
Diesen europäischen Strom assoziiere ich mit dem Künstler Peter Liebl, dem kulturellen Wanderer in den Traditionen europäischer Kunst, in denen er – ob in der Region oder in Frankreich oder in Georgien – nach dem Verbindenden in der Formensprache sucht, dem Kulturwanderer zwischen Mondrian, Monet, der russischen Ikonenmalerei, aber auch den naiven Ölbildern seines Vaters, dem Wanderer zwischen Licht und Dunkel, dem Kulturwanderer zwischen dem Abstrakt-Objektiven und dem Gegenständlich-Subjektiven.

Peter Liebl ein Fragender, ein Künstler, der um Themen ringt, sich mit den ihn umgebenden Menschen und Landschaften auseinandersetzt, langsam eine Annäherung versucht. Und die ist bei ihm auch eine immerwährende Suche nach Reinheit, Klarheit, Schönheit, Harmonie – jenseits allerdings der üblichen, uns
vertrauten Definitionen und Kategorien, jenseits der uns bekannten und vertrauten Realitäten, eher eine fast religiös konnotierte Suche nach dem Wesen von Kunst, nach Form und Raum, aber auch nach Vollkommenheit, nach Schönheit, unerreichbar für Menschen, nur als Sehnsucht vorhanden – ausgedrückt mit den Mitteln der Kunst und in einer ganz spezifischen Formensprache.

Und da ist es das Licht oder die Farben als Symbol für das Licht, die für Peter Liebl eine zentrale Rolle spielen.

„Wie werden die Bilder mehr Licht? Farbe muss sich in Licht verwandeln! Das ist das Geheimnis der Malerei.“

so Peter Liebl in seinen Notizen.

Der deutsche Kunsthistoriker Wolfgang Schöne hat 1954 ein Buch über das Licht in der Malerei veröffentlicht. Thema ist für ihn dabei vor allem die Funktion des Lichts in den großen Werken der Malkunst, die Lichtquelle als Mittel der Darstellung und das „transzendentale Leuchtlicht“. Bei Peter Liebl gibt es eine weitere Dimension. Licht entsteht in seinen Gemälden durch die Farben und deren Komposition, durch Farben, die erst einmal n u r e r sieht, durch Farben, die n u r e r für die jeweiligen Räume als passend erachtet. Sie sind entstanden durch das Erleben, durch das Erfahren von Peter Liebl, sie entspringen seiner Haltung zur Gegenwart und Geschichte, die er sich auf seine ganz besondere Art aneignet. Er tut dies sowohl abstrakt wie konkret, ein Prozess der Auseinandersetzung mit seiner Umgebung, seiner Umwelt, als deren Teil er sich sieht. Dabei geht es im wahrsten Sinne des Wortes um das L i c h t w e r d e n.

Seine Porträts, aber auch seine „Horizonte“ geben uns eine Ahnung davon.
Horizonte“ – die Namensgebung scheint erst einmal ein Versuch zu sein, etwas zu benennen oder sogar zu klassifizieren, was auf dieser Ebene der Abstraktion nicht benennbar ist. Es geht nicht so sehr um eine Begegnung oder ein Aufeinandertreffen von Himmel und Erde, von Unten und Oben, von Wasser und Land, es geht vielmehr um das Ausloten von Grenzen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen Stillstand und Bewegung, zwischen Emotion und Rationalität, zwischen Realität und Vorstellung – vergleichbar einer Grenzüberschreitung, einem Hinaustreten aus Raum und Zeit, aus der Realität, hinein in eine Idee von Weite und ferner Schönheit – beinahe so, wie wir es bei Hans Sahl in „Strophen“ lesen können.

„Ich gehe langsam aus der Welt heraus, in eine Landschaft jenseits aller Ferne, und was ich war und bin und was ich bleibe, geht mit mir ohne Ungeduld und Eile, in ein bisher noch nicht betretenes Land. Ich gehe langsam aus der Zeit heraus, in eine Zukunft jenseits aller Sterne, und was ich war und bin und immer bleiben werde, geht mit mir ohne Ungeduld und Eile, als wäre ich nie gewesen oder kaum.“

Dieses Hinaustreten aus der Zeit, das Ausloten der Grenzen – dies gelingt Peter Liebl in seinen Bildern. Er gestaltet es über die Wahl der Farben und die Farbkontraste. Diese sind Ursache der enormen Licht- und Leuchtkraft der Bilder.

Seine Arbeiten irritieren: Seine Madonnenbilder oder seine Porträts zum Beispiel: Nie sind sie das, wofür man sie auf den ersten Blick hält. Es sind keine Abbilder von Menschen, - obwohl die Porträts deren Namen tragen -, keine einfach gemalten Madonnen mit Jesuskind; es sind gemalte Metaphern von Menschlichkeit genauso wie von nahezu religiöser Andacht und verhaltener Leidenschaft, von vollkommener Schönheit, Weltentrücktheit und Transzendenz. Intensive Farben und immenses Licht, die Gestaltung des umgebenden Raums, der seine Figuren eben diesen Raum verlassen lässt und in Dimensionen führt, die mit menschlichen Kategorien gar nicht mehr gefasst werden können, die einen zwingen zu schauen auf Menschen – der Realität entrückt, versunken in Würde, so als ob sie das Eigentliche, die Vollkommenheit, die Schönheit in der Ferne erblicken würden – jenseits jeglicher Realität, ahnend, wissend, hoffend, fürchtend, sehnend oder alles zugleich. Diese Porträts scheinen aus der Zeit gefallen zu sein. Sie verkörpern ein In-sich-Ruhen, ein Innehalten, Zeitlosigkeit, Verzögerung, Langsamkeit, Menschsein ohne jegliche Schutzschichten, gleichzeitig Öffnung und Bezugnahme zur Außenwelt, Ikonen gewissermaßen - die konkrete körperliche Gegenwart der Porträtierten spielt da kaum mehr eine Rolle. „Es muss sozusagen eine Versöhnung stattfinden zwischen dem Abstrakt-Objektiven und dem Gegenständlich-Subjektiven. Diese Synthese scheint mir in der Ikonenmalerei am deutlichsten verwirklicht. Hier sind die Gesichter nicht gemalt als uns sinnlich anschauende, vielmehr blicken sie an uns vorbei nach Innen und nach Außen.“, so Peter Liebl in seinen Aufzeichnungen.

Peter Liebl lässt uns in seinem Werk mehr erkennen, als das, was wir im ersten Augenschein erfassen können; er lässt uns hinter das blicken, was wir im anfänglichen Schauen wahrnehmen. Er schult uns in der Kunst der Wahrnehmung, weil wir nicht nur allein die Mehrdimensionalität, die Geschichtlichkeit seiner Arbeiten erkennen können, sondern selbst eine Ahnung von Vollkommenheit und ferner Schönheit entsteht, oder zumindest die Sehnsucht danach.

Dr. Angelika Baumann, Historikerin, Jg. 1954
Leiterin der Abteilung Kunst- und Kulturförderung im Kulturreferat der Landeshauptstadt München