Springe zum Inhalt

Reiner Meyer – Farbe muss sich in Licht verwandeln

Donaustauf Aquarelle

„Es regnet Blüten, wenn der Wind durch den Kirschbaum streicht. Keine Farbprogramme, die Farben möglichst im Einklang mit der Natur! Jetzt ist alles strahlend hell, ein Leuchten grün-weiß-rot, blaue Hyazinthen und violette Stiefmütterchen klingen leise mit, ein wahrhaft mächtiger Aufbruch nach dem langen Winter. Die zarte Mondsichel schwimmt im Mittagsblau, der Himmel von Kondensstreifen stählerner Flugzeuge durchstochen.“1

Peter Liebl gehört zu jenen Künstlern, die in der glücklichen Lage sind, ihre Inspiration wortwörtlich vor der eigenen Haustür zu finden. Die Rede ist von dem idyllisch am Burgberg in Donaustauf gelegenen Garten, unterhalb der mächtigen Burgruine und der Pfarrkirche. Alte Obstbäume, Blumen und Wiesen schaffen ein Areal vielfältiger und anregender Erscheinungen, die den Maler immer wieder dazu veranlassen, sich diesen mit Hilfe der Aquarellmalerei zu nähern.
Virginia und Venedig waren für den Maler ebenfalls Inspirationsquellen für Aquarellserien. Die Weiten des US-Bundesstaates führten zu Horizontbildern und die Lagunenstadt verwandelte sich unter dem Pinsel des Malers in eine tektonische Farbflächenkomposition.2 Die Beobachtung der Natur vor der eigenen Haustür hingegen zeitigte eine andere Form – die des beobachteten Naturausschnitts, eine Art paysage intime.3 Im Tagebuch notierte der Künstler Folgendes:

„Zuerst einmal ruhig werden, lauschen. Es passiert so viel simultan in jedem Augenblick und man müsste eintauchen können in jeden wie in eine Welle des Meeres, eins werden mit dem Rhythmus der Natur. Das ist das Geschenk, das die Stille gibt. Diese Übereinstimmung wiederum ermöglicht kreatives Denken und Handeln. Jede Blume, jedes Grün, jeder Laut eines Vogels lädt ein, zu verweilen.“4

Intensives Naturerlebnis ist also eine der wichtigen Triebfedern.
Daneben gibt es auch Blätter, die nicht unmittelbar vor der Natur entstanden sind. „Cézanne!“, so hat Peter Liebl eines dieser Aquarelle bezeichnet.
Der Künstler bekennt sich zu seinen großen Vorbildern und im vorliegenden Fall bringt er den Franzosen mit Verve und Offensivgeist ins Spiel. Wir sehen ein dichtes Raster annähernd quadratischer, vor- und hintereinander gestaffelter Farbflächen aus Blau-, Grün-, Rosa- und Violetttönen. Dabei fällt die gekonnte Verteilung der verschiedenen Farben auf, was letztendlich in eine sehr stimmige Komposition mündet. Die Anordnung der kleinen Farbflächen, sowie die elementare Einbeziehung des Papierweiß erinnern in der Tat an Paul Cézannes Bildsprache im Aquarell.5 Das Blatt entstand im Mai 1995 und ist das älteste der hier exemplarisch präsentierten Aquarelle, wobei Peter Liebl auch davor schon in dieser feinen aber auch sehr schwierigen Technik gearbeitet hat. Es steht zudem stellvertretend für eine ganze Reihe ähnlich aufgebauter Kompositionen, die aber alle ihren ganz eigenen Farbklang aufweisen. Bei diesem Typus setzt der Maler zunächst spontan Flecken, die er anschließend immer stärker verdichtet. Diese Herangehensweise bezeichnet der Künstler als eine Möglichkeit der Meditation.6 Die Faszination für das Raster geht auf ein Schlüsselerlebnis zurück, das der Künstler 1973 bei dem Besuch einer Ausstellung mit Werken Piet Mondrians7 hatte. In seinen Aquarellen hat Peter Liebl das Raster nie so streng geometrisch eingesetzt wie in der deckenden Öl- oder Acrylmalerei, was auch der Eigenschaft der Transparenz geschuldet ist. In das Jahr 1996 datiert das Blatt „Pfirsichblüte“, das vor der Natur entstand, wie zahlreiche, weitere Werke.
Auffällig ist dabei der diagonale Verlauf des Pinselduktus von links unten nach rechts oben, was der Komposition eine große Dynamik verleiht. Der Titel deutet bereits auf den Frühling hin, der mit seinen frischen, unverbrauchten Farben den Maler bis heute begeistert. Alles wirkt luftig leicht und beschwingt. Das Weiß des Papiers blitzt zwischen den Farbflecken hervor und mit wenigen Strichen sind Stämme, Äste und Zweige der Pfirsichbäume zu erahnen. Es bleibt aber bei Andeutungen. Nie wird der Maler in seiner Ausdruckform zu gegenständlich, sondern lässt alles in einem Rausch frischer Frühlingsfarben im Spannungsfeld von Landschaftsausschnitt und fortgeschrittener Abstraktion ineinander übergehen.

Ganz ähnlich verhält es sich bei dem Aquarell „Scheuchenberg“.
Die charakteristische Form des Höhenzuges, an dessen Fuß die Donau vorbeifließt, ist zu erkennen, wurde aber vom Maler in einem Balanceakt nicht zu stark akzentuiert, was den Reiz dieses Blattes ausmacht. Peter Liebl sieht den Scheuchenberg, wenn er aus dem Fenster blickt, zumindest in den Wintermonaten, wenn das Laub den Berg nicht verdeckt. Der Scheuchenberg ist „sein Montaigne St. Victoire“ sagt der Künstler in Anspielung auf den Berg bei Aix en Provence, der dem Maler Paul Cézanne immer wieder als Motiv diente, um daran seine Bildsprache weiterzuentwickeln.8
Die bereits bei dem Blatt „Pfirsichblüte“ konstatierte Diagonalausrichtung bestimmt auch andere Blätter, wie „Veilchen III“ oder „Erstarkendes Grün“.
Sie ist eines der wichtigen Kompositionsprinzipien innerhalb der Donaustaufer Aquarelle. Ein anderes ist das Raster, das in Arbeiten, wie „Mondnacht“ wiederkehrt. Eine unbetitelte Arbeit, ebenfalls von 2012, beweist, dass der Maler sich aber auch von beiden Herangehensweisen befreien und gewissermaßen eine Synthese aus beiden Schemata schaffen kann.
Die zarten Aquarelle stellen einen ganz eigenen Werkkomplex im Schaffen des Malers Peter Liebl dar. Sie sind Zeugnisse eines tiefen Farbverständnisses und einer nachdrücklichen Verbundenheit ihres Schöpfers mit der Natur. Oft sind sie vor dem Motiv entstanden, oft aber auch aus der Erinnerung heraus. Häufig
verläuft die Farbgebung, von unten nach oben gesehen, vom Dunkel ins Helle, hin zum Himmel, zum Licht. Seinem Ziel, dass Farbe sich in Licht verwandeln müsse und seiner These, dass genau dies das Geheimnis der Malerei sei9, kommt er mit der transparenten Technik des Aquarells am nächsten. Das Licht durchdringt die
Farbe und wird vom weißen Blatt Papier reflektiert. Stärker als im Aquarell lässt sich wohl in keiner anderen Technik mit dem Licht arbeiten. Das weiß auch Peter Liebl, der darüber schreibt: „Meine Liebe galt immer auch der Aquarellmalerei. In ihr kann ich unbefangener die momentanen Gefühlslagen ausdrücken. Schnell hingesetzt sind die auf dem weißen Papier trocknenden Farbflecken für mich eine Art Farbtagebuch. Jede Jahreszeit hat ihre besonderen Farben und ihr eigenes Licht. Gleichzeitig sehe ich an den Aquarellen deutlicher als an den oft überarbeiteten Ölbildern meine malerische Verfassung. Manchmal tendiere ich mehr zum Öffnen der Form, dann wieder verdichten die Flecken sich zu geometrischen Grundmustern. Dieses Lockern und Zusammenziehen scheint ein Grundrhythmus meines Lebens zu sein.“10


  1. Liebl, Peter, Auszüge aus den Tagebüchern, 3.5.2005, S. 4.
  2. Siehe hierzu auch die beiden Beiträge von Claudia Jürgens und Christiane Settele in vorliegendem Katalog.
  3. Der Begriff bezieht sich auf die Malerei der Schule von Barbizon, deren Maler in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Wald von Fontainebleau bei Paris zu einer Form des intimen Naturausschnitts im Gegensatz zur großen Überschaulandschaft fanden.
  4. Liebl, Peter, Tagebücher (wie Anm. 1), 18.6.2005, S. 5.
  5. Nach Meinung von Walter Koschatzky hat Paul Cézanne die Technik der Aquarellmalerei verändert, ja revolutioniert. Das Weiß des Papiers wurde bei ihm zu einem wesentlichen Element. Vgl. hierzu: Koschatzky, Walter, Die Kunst des Aquarells, München 1985, S. 241 f.
  6. Aus einem Gespräch der Künstlers mit dem Autor am 17.01.2014.
  7. Gespräch mit dem Künstler (wie Anm. 6).
  8. Gespräch mit dem Künstler (wie Anm. 6).
  9. Liebl, Peter, Tagebücher (wie Anm. 1), 26.6.2013, S. 5.
  10. Liebl, Peter, Dunkle Flecken, Passau 1991, S. 14 f.